Mabrouka Kridene

Dolmetscherin

Ein Porträt von „Schwarz auf Weiß“ in Kooperation mit dem Vorarlberger Fraueninformationszentrum „femail“

Die gebürtige Tunesierin lebt seit 15 Jahren in Vorarlberg und hat hier ihre Leidenschaft und Begabung für Sprachen zum Beruf gemacht: die ehemalige Flugbegleiterin und studierte Lehrerin für Englisch und Italienisch arbeitet heute als Dolmetscherin. Mabrouka Kridene spricht mittlerweile sechs Sprachen und profitiert derzeit vor allem von ihrer Muttersprache: das Arabische ermöglicht es ihr nämlich, auch den syrischen Dialekt zu verstehen. Und dadurch kann Mabrouka Kridene jenen Menschen, die in den vergangenen Jahren mit den Flüchtlingsströmen nach Vorarlberg gekommen sind, auf sprachlicher Ebene eine Türe in diese für sie unbekannte Welt öffnen.

„Ich liebe es, mich um andere zu kümmern, Menschen aufzubauen. Und ich organisiere gut, – allerdings hauptsächlich für andere, weniger für mich“, lacht die Anfang 40-Jährige im „Schwarz auf Weiß“-Interview. „Ich selbst nehme mich da immer zu sehr zurück. Das würde ich gerne noch ein bisschen besser lernen. Ich möchte eine Balance finden und ein bisschen mehr stressfreie Zeit für mich.“ Ganz und gar nicht gestresst, sondern fröhlich und interessiert wirkt Mabrouka Kridene, als wir sie in einem Café in Dornbirn treffen, in jener Stadt, in der die Tunesierin über Umwege ihre zweite Heimat gefunden hat.

Modernes Elternhaus im Süden Tunesiens

Mabrouka Kridene ist im Süden von Tunesien, 20 Kilometer von Djerba entfernt, in der kleinen Stadt Zarzis in einer Großfamilie aufgewachsen. Sie ist das jüngste von acht Kindern. „Wir waren drei Buben und fünf Mädchen und der Stolz unserer Eltern“, erzählt Mabrouka Kridene.“ Ich habe von allen meinen Geschwistern gelernt, mir viel von ihnen abgeschaut. Wenn ich an meine Kindheit denke, dann verbinde ich das mit Glücklichsein. Wir hatten ein tolles Haus, fünf Minuten vom Meer entfernt, mit vielen Bäumen drum herum. Ich war viel draußen am Spielen.“

Zarzis, Tunesien; Foto: ©Mabrouka Kridene

Ihr Vater habe besonders die Mädchen sehr gefördert. Mabrouka Kridene ist sich bewusst, dass sie großes Glück hatte, dass ihre Eltern so modern waren. „In meinem Bekanntenkreis gab es ein Mädchen, das mit 14 geheiratet und die Schule abgebrochen hat. Das wäre für mich unvorstellbar gewesen“, betont sie. „Ich habe damals lange mit ihr und ihrer Mutter darüber gesprochen, weil sie eine sehr gute Freundin von mir war. Sie hat gesagt, dass sie aus Liebe heiratet. Das hat mich lange Zeit beschäftigt. Mein Vater hat nämlich immer besonders darauf geachtet, dass wir Mädchen nicht zu kurz kommen – besonders auch was die Schulbildung betrifft!“

„Sprachen öffnen Türen“

Mabroukas Vater war Bus-Chauffeur in einem großen Reiseunternehmen und hatte dadurch viel Kontakt mit Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern dieser Welt. „Er hat sich selbst mehrere Sprachen angeeignet. Ich glaube, seine große Liebe zu Sprachen hat auf mich abgefärbt.“ Mabrouka Kridene hat bald erkannt, dass auch sie eine besondere Begabung hat, Sprachen zu lernen. „Ich liebe es, in eine neue Sprache einzutauchen und an den Worten zu feilen“, schwärmt die Dolmetscherin. „Mein Vater hat immer zu mir gesagt: Sprachen öffnen Türen, sie öffnen auch Türen in andere Kulturen.“

Mabrouka Kridenes Muttersprache ist Arabisch, als Tunesierin hat sie bereits als Kind in der Schule Französisch, später auch Englisch gelernt. „Meine Eltern haben darauf geachtet, dass wir gute Schulen besuchen, und ich bin auch immer sehr gerne dorthin gegangen.“ Nach dem Gymnasium hat Mabrouka Kridene an der Universität von Tunis die Lehramtsfächer Englisch und Italienisch studiert. „Ich wusste allerdings immer schon, dass ich nicht an eine Schule gehen wollte. Ich habe zwar immer sehr gerne geholfen und auch Nachhilfeunterricht gegeben, um mir mein Studium zu finanzieren. Aber ich war mehr an den Sprachen an sich und nicht so sehr an der Sprachvermittlung interessiert. Sprache und Übersetzung. Das hat mich immer schon begeistert. Einer meiner Professoren war Dolmetscher. Er hat uns Studenten von seinen Reisen und Begegnungen erzählt. So spannend und bereichernd! Daran erinnere ich mich bis heute noch ganz genau.“

Schicksalsbegegnung am Flughafen

Für Mabrouka Kridene ist deshalb auch ein Traum in Erfüllung gegangen, als sie nach ihrem Studium die Möglichkeit bekam, ihre Sprachen anzuwenden und die Welt zu sehen: „Ich habe eine Stellenanzeige in einer Zeitung gesehen, in der man eine Stewardess gesucht hat. Ich habe mich beworben und bin tatsächlich eingeladen worden, bei TunisAir eine zweijährige Ausbildung zu machen und im Anschluss dort zu arbeiten. Das war eine tolle und sehr lehrreiche Zeit.“

Nach drei Jahren bei der Airline hat Mabrouka Kridene ihren heutigen Mann kennen gelernt. In einem Flughafen: „Es war wenige Tage nach diesem schrecklichen 11. September. Mein heutiger Mann war gerade in Tunesien auf Urlaub, hatte das Baby einer Kollegin auf dem Arm und wollte aufgrund der Ereignisse zurück in seine Heimat nach Vorarlberg. Er hat mich angesprochen, wir haben uns 20 Minuten unterhalten und einen Monat später haben wir gemeinsam meinen Geburtstag gefeiert. Wir haben gewusst, dass wir zusammen gehören und waren wenig später verlobt.“

„Frauen dürfen ihren Nachnamen behalten“

Zwei Jahre danach hat das Paar geheiratet, mittlerweile haben die beiden drei Kinder. „Ich trage heute dennoch meinen Mädchennamen“, erklärt Mabrouka Kridene selbstbewusst: „In Tunesien darf die Frau ihren Nachnamen nämlich behalten – und das habe ich auch gemacht“, lacht sie. Das junge Ehepaar wollte sich zunächst in Tunesien niederlassen. „Wir haben nach einem gleichwertigen Job für meinen Mann gesucht, er ist Ingenieur und hatte damals einen tollen Job in Vorarlberg. Es hat dann schließlich nicht geklappt, etwas Ähnliches für ihn in Tunesien zu finden. Und so bin ich in Vorarlberg gelandet.“ Und Mabrouka Kridene hat sich natürlich sofort nach ihrem Umzug mit Eifer daran gemacht, die neue Sprache zu lernen. Seit mittlerweile 15 Jahren lebt sie nun im Land, beherrscht das Hochdeutsche fließend und hat ein gutes Gehör für den Vorarlberger Dialekt entwickelt.

Mit den Kindern mitlernen

Ihr erster Job im „Ländle“ hat Mabrouka Kridene in ein Hotel in Dornbirn geführt, wo sie als Frühstücksleiterin gearbeitet hat. „Ich hatte viel Glück mit dieser Anstellung und bin auch zehn Jahre lang dort geblieben.“ Mabrouka Kridene hat sich während dieser Zeit ganz bewusst sprachlich weiter gebildet, hat im täglichen Umgang mit den Menschen im Hotel das Gelernte rasch umgesetzt. „Dazu kommt, dass ich mit meinen Kindern von Beginn an in der Schule mitgelernt habe. Das ist übrigens etwas, das ich auch den Frauen rate, die ich heute in meiner Tätigkeit als Dolmetscherin betreue. Ich habe immer viel gelesen – und in meiner ersten Zeit in Vorarlberg waren das unter anderem auch ganz einfache Kinderbücher. Das hat mir sehr geholfen! Ich lerne auch heute viel mit. Meine älteste Tochter geht mittlerweile aufs Gymnasium und spricht selbst fünf Sprachen. Auch die Kleinen wachsen mehrsprachig auf. Wir lernen voneinander!“

Daneben hat Mabrouka Kridene immer wieder auf die eine oder andere Art gedolmetscht, auch innerhalb ihrer Familie: „Ich habe regelmäßig übersetzt – für meinen Mann, meine Eltern, die Partner meiner Geschwister. Die Frau meines Bruders beispielsweise kommt aus Frankreich. Wir sind eine sehr internationale Familie und in alle Winde verstreut: Österreich, Frankreich, Deutschland…“

„Mamas Tod hat vieles verändert“

Mabrouka Kridenes Vater ist vor fünf Jahren gestorben. Kurz danach ist ihre Mutter bei einem Unfall ums Leben gekommen. –Ein schwerer Schlag für sie, der vieles in ihrem Leben verändert hat. „Ich habe meine Arbeit im Hotel gekündigt und mir vorgenommen, alle Ausbildungen zu machen, die ich bis dahin immer aufgeschoben habe. Ich habe plötzlich erkannt, wie schnell das Leben zu Ende sein kann.“
Und: Mabrouka Kridene hat begonnen, ein Kopftuch zu tragen. „Obwohl ich immer schon Muslima war, habe ich bis zu diesem Zeitpunkt nie Kopftuch getragen, das war in unserer Familie auch nie Thema. Die, die eines tragen wollten, haben eines getragen. Und die, die es nicht wollten, eben nicht. Meine Mama hat zwar kein Kopftuch im klassischen Sinn getragen, sondern eine Art offene, ganz traditionelle Kopfbedeckung. Aber ich selbst habe das Kopftuch nach ihrem Tod als eine Art Erinnerung an sie aufgesetzt. Meine Freunde in Tunesien haben mich zunächst kaum wieder erkannt, ich bin ja eigentlich ein sehr moderner Mensch. Und als ich zur Beerdigung kam, war ich einfach derart in Trauer, wie ich es von mir selbst nicht gekannt habe.“

Gesellschaftspolitischer Trend spürbar

Seither trägt Mabrouka Kridene Kopftuch. Längst nicht mehr nur zur Erinnerung. Sie habe es inzwischen auch sehr zu schätzen gelernt: „Ich habe das Gefühl, dass man mir mit einer Art Respekt und angenehmer Distanz begegnet, die ich ohne Kopftuch nicht gekannt habe. Es ist einfach ein großer Schutz, den ich als Frau dadurch erlebe.“
Seit der großen Flüchtlingsbewegung und der anschließenden gesellschaftspolitischen Entwicklung habe sich dieses positive Gefühl allerdings spürbar ins Negative gekehrt. „Leider“, bedauert sie: „Ich muss das so sagen, denn ich merke das ganz deutlich. Ich erlebe beispielsweise hin und wieder, dass man auf mich zugeht und mir zu verstehen gibt, dass ich hier nicht erwünscht bin. Ich bin jetzt seit 15 Jahren in Vorarlberg und ich habe in den vergangenen zwei, drei Jahren einen anderen Umgang mit mir gespürt. Es hat sich tatsächlich einiges in Bewegung gesetzt, das gegen die bis dorthin immer besser funktionierende Integration arbeitet. Und das ist sehr, sehr schade…“

Vom Ehrenamt zum Hauptberuf

Als Mabrouka Kridene 2015 mit ihrem dritten Kind schwanger war und sie beim Frauenarzt im Wartezimmer saß, hat ihr Weg zur professionellen Dolmetscherin die ersten konkreten Formen angenommen: „Ich konnte in diesem Wartezimmer zum ersten Mal in Vorarlberg bewusst meine Arabisch-Kenntnisse einsetzen, um zu helfen. Denn durch meine Muttersprache verstehe ich auch Syrische Dialekte und konnte an diesem Tag der Sprechstundenhilfe mit einer Patientin aus Syrien weiterhelfen, indem ich übersetzt habe. Das war der Beginn meiner beruflichen Dolmetscherlaufbahn.“
Denn ihre Fähigkeiten waren immer mehr gefragt, haben sich herumgesprochen: „Frauen haben mich gebeten, sie beim Schreiben an Ämter, bei Anmeldeformularen für Kindergarten, Schule und Behörden zu unterstützen. Auch die Ärzte im Spital haben mich angerufen, wenn sie jemanden zum Übersetzen gebraucht haben. Ich habe das ja immer schon sehr gerne getan.“ – Gerne und lange Zeit ausschließlich ehrenamtlich. Bis Mabrouka Kridene dann einen Anruf aus dem Büro des Fraueninformationszentrums Vorarlberg „Femail“ bekommen hat: „Die haben gefragt, ob ich für sie Aufträge übernehmen möchte. Und das wollte ich natürlich liebend gerne! Ich bin richtig glücklich mit dieser Arbeit.“

Frauen- und Familien-relevante Themen übersetzen

Mabrouka Kridene ist seither bei Beratungen und Workshops über Gesundheit sowie Schul- und Gesellschaftsthemen als Übersetzerin tätig. „Diese Dinge sind in Vorarlberg nämlich komplett anders organisiert als beispielsweise in Syrien und es sind deshalb auch die größten Themenfelder, die die Frauen betreffen, die neu in dieses Land kommen.“ Mabrouka Kridene selbst lernt bei jedem Ernährungs-, Arbeitsmarkt- und Rechtskunde-Workshop, den sie übersetzt, viel Neues dazu: „Es sind einfach die richtigen Informationen, die von Fachleuten einfach erklärt werden. Das ist wirklich toll. Denn ich kann mich noch gut an meine eigene Anfangszeit erinnern, in der ich mir dieses Wissen selbst aneignen musste. Das war oft richtig aufwändig und hart. Und jetzt kann ich anderen helfen und lerne selbst noch etwas dazu!“

Berufliches Wissen ausbauen

Auch als Dolmetscherin möchte sich Mabrouka Kridene weiter entwickeln, an ihren Sprachen feilen, Universitätslehrgänge besuchen: „Ich habe das Gefühl, dass ich da noch viel lernen kann. Ich möchte in naher Zukunft gerne auch für Ämter und Behörden als beeidete Dolmetscherin arbeiten können, offizielle Dokumente und Schreiben übersetzen dürfen. Es gibt im Land momentan eine Handvoll Dolmetscher, die das dürfen. Es wäre also sehr gefragt.“
Mabrouka Kridene arbeitet gerne im Sozialbereich, es erfüllt sie, den Menschen zu helfen: „Ich merke, dass die Frauen ein gewisses Vertrauen aufbauen, und das ist unglaublich bereichernd. Denn es sind Frauen, die viel erlebt haben. Viel Schlimmes. Und sie dabei zu unterstützen, wieder ein bisschen Zuversicht zu gewinnen, ist etwas Wunderschönes.“

„femail“

verfasst im Mai 2019

von „Schwarz auf Weiß“ in Kooperation mit „femail“:

Dieses Porträt ist in Kooperation mit dem Vorarlberger Fraueninformationszentrum „femail“ entstanden. „femail“ mit Sitz in Feldkirch ist eine Servicestelle von und für Frauen. Ausgebildete Spezialistinnen bieten Informationen in Einzelberatungen und Workshops zu den Themen Arbeit, Bildung, Familie, Gesundheit, Absicherung und Integration.

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