Dipl. Gesundheits- und Krankenschwester, Säuglings- und Stillberaterin
Die Lauteracherin hat sich vor genau zehn Jahren als Dipl- Gesundheits- und Krankenpflegeschwester und geprüfte Stillberaterin (IBCLC) mit einer eigenen Praxis selbständig gemacht und arbeitet zudem auf der Abteilung „Neonatologie und der Pädiatrie“ im Krankenhaus Dornbirn. Gemeinsam mit zwei Ärzten hat Kerstin Dörler Anfang des Jahres in Bregenz ein Stillcafe gegründet, in dem Mütter – stillende und nicht-stillende – sowie Schwangere kostenlose Beratung und Unterstützung bekommen. In ihrem Beruf begegnen ihr sowohl größtes Glück, als auch tieftraurige Schicksale.
Kerstin Dörler erwartet uns mit einer wunderschön angerichteten Obstplatte und einem selbst gemachtem Smootie zum Interview. Sie sei „eine Perfektionistin und ständig bemüht, mein Bestes zu geben“. Wir fühlen uns gleichzeitig herzlich aufgenommen und merken bald, dass diese Kombination aus Professionalität und menschlichem Einfühlungsvermögen essentiell bei der zutiefst menschlichen Arbeit ist, die die Krankenschwester und Stillberaterin tagtäglich absolviert.
Kerstin Dörler weiß, was es bedeutet, Mama zu sein: Sie hat selbst zwei Söhne und ihre eigene Mutter hat sie und ihren Bruder alleine groß gezogen: „Ich hatte eine sehr schöne Kindheit in Lustenau.“ Dass sie einmal eine Krankenschwester sein würde, sei schon immer ihr Ziel gewesen: „Das stand schon in meinem Erstkommunionsheft geschrieben. Auch dass sie mit Kindern arbeiten wollte, stand schon immer fest“, erzählt die Ende-30-Jährige. Nach dem Gymnasium hat sie sich deshalb auch sofort an den entsprechenden Schulen in Innsbruck und Wien angemeldet. „Ich hoffte auf eine Zusage aus Wien, weil mein damaliger Freund, mit dem ich heute übrigens verheiratet bin, dort auf der TU studiert hat.
Leider hat genau zu der Zeit die dortige Krankenpflegeschule die Aufnahme für Interessierte aus anderen Bundesländern gestoppt und nur mehr eine Ausbildung angeboten, die ausschließlich Studenten aus Wien vorbehalten war – eine kleine Katastrophe für mich, weil wir schon alles so schön geplant hatten.“ Kerstin Dörler hat dann in Innsbruck ihren Ausbildungsplatz bekommen, „schlussendlich doch ein Glück, weil auch dort jedes Jahr nur sechs Studenten aus Vorarlberg aufgenommen wurden. Und es war eine richtig tolle Zeit“, schwärmt sie. Im Alter von 19 ist die damalige Schwesternschülerin dann zum ersten Mal Mama geworden. „Eher überraschend“, schmunzelt sie und verweist auf ihr familiäres Umfeld, das ihr nach der Karenz die Fortsetzung ihrer Ausbildung möglich gemacht hat: „Meine Mama und meine Schwiegereltern haben mich sehr dabei unterstützt. Das war ein großer Luxus für mich, und ich konnte schließlich doch noch mein Diplom machen.“
Stillberaterprüfung alle fünf bis zehn Jahre
Ihre Zielstrebigkeit hat sie auch ins anschließende Berufsleben mitgenommen: Neben ihrer Arbeit im Spital hat sie die Ausbildung zur Stillberaterin gemacht. Die einjährige Ausbildung setzt ein gewisses Maß an Praxis voraus und umfasst mehrere Module – weltweit wird ein- und dieselbe Prüfung abgehalten, erklärt Kerstin Dörler: „Diese Prüfung wird nach Amerikanischem System regelmäßig an die neuen wissenschaftlichen und medizinischen Entwicklungen angepasst und muss daher von allen, die weiter in diesem Bereich arbeiten wollen, in fünf- bis zehn-Jahres-Abständen komplett wiederholt werden. Ich habe gerade vor zwei Jahren mein Zertifikat wieder aufgefrischt. Ich bin daher ständig auch auf Fortbildung, war gerade auf einem Kongress in Berlin. Und genau das ist auch der positive Aspekt dieses Systems: Ich lerne immer mehr dazu!“ In Vorarlberg gibt es derzeit – abgesehen von den Stillberaterinnen an den Spitälern – insgesamt drei selbständige, freie Beraterinnen. Die Rezertifizierung ist für viele doch eine große (vor allem auch finanzielle) Hürde.
Unterstützung statt Stilldebatte
Selbständig gemacht hat sich Kerstin Dörler im Jahr 2007, also vor genau zehn Jahren. Nach ihrer Praxiseröffnung in Lauterach (hier geht’s zur Homepage der Stillberaterin) hat sie sich bei Kinderärzten und Gynäkologen persönlich vorgestellt: „Aber der Anfang verlief schleppend. Ich habe schon zwei Jahre gebraucht, um nicht – gerade bei den Kinderärzten – als fanatische Stillberaterin abgestempelt zu werden. Denn wer damals diese Ausbildung gemacht hat, der ist automatisch in diese Schublade gesteckt worden. Mittlerweile wissen die Ärzte im Land Bescheid, wie ich arbeite, dass ich nicht nur Stillberaterin, sondern auch Krankenschwester bin und überweisen die jeweiligen Frauen auch an mich. Was ich an meiner Arbeit sehr schätze, ist die Zusammenarbeit mit den Krankenhäusern Dornbirn und Bregenz. Der Austausch mit dem Fachpersonal und den Ärzten ist eine wunderbare Ergänzung, ein ständiges und gegenseitiges Lernen.“
Kerstin Dörler verfolgt bei ihren Beratungen bewusst keine aktuellen Trends in der Stilldebatte, sondern unterstützt die Frauen jeweils in die Richtung, in der sie ihre Hilfe brauchen und haben wollen: „Jede Frau muss es auch wirklich selbst wollen, ihr Kind zu stillen, sonst geht da gar nichts. Das kann man nicht in die eine oder andere Richtung – Fläschchen oder Stillen – forcieren und wäre auch überhaupt nicht sinnvoll. Ich informiere, aber ich überlade die Mamas nicht, indem ich sie in eine Richtung dränge. Wenn es der Mama gut geht, dann geht es in der Regel auch dem Kind gut!“, ist sie überzeugt.
Dankbarkeit als unbezahlbarer Lohn
Die Krankenschwester und Stillberaterin arbeitet unter anderem deshalb so gerne mit Kindern und Säuglingen, „weil Erwachsene sehr von den Jüngsten lernen können. Auch über sich selbst. Das ist es, was sie uns geben. Man erkennt in der Arbeit mit Kleinkindern nämlich sehr schnell, ob man seine Arbeit gut macht“. Die Dankbarkeit der Eltern, vor allem jene der Mütter empfindet Kerstin Dörler als Lohn, der nicht mit Geld aufzuwiegen ist. „Gerade auf der Intensivstation, wenn man die Kleinen wochenlang betreut, ist das ein ganz persönlicher und individueller Arbeitsprozess. Denn jede Mama, jedes Kind braucht etwas anderes – wobei jedes Baby in erster Linie zunächst einmal nur die Mama braucht!“
„Eine Mama darf am Anfang einfach nicht alleine sein“
Kerstin Dörler weiß aus Erfahrung, dass jede Mama gerade zu Beginn ihrer Mutterschaft Stärkung benötigt. „Da kann man mit ganz vielen kleinen Hinweisen schon Entscheidendes bewirken. Oft genügen bereits einfache kurze Sätze, die stärken. Und das ist einfach wunderschön. Ich habe deshalb zahlreiche Motivations-Schulungen und Kommunikationstrainings gemacht, und ich rate auch jedem, bei Fortbildungsmaßnahmen auf dem Gebiet der Stillhilfe und Pflege immer zuerst auch eine Rhetorik-Schulung zu machen, weil man eben bei einem so sensiblen Thema schon mit einem Satz viel kaputt machen kann.“ Wie wichtig es ist, einfühlsam sein zu können, gut zuhören zu können, merke sie vor allem dann, wenn sie ihre ersten Besuche am Wochenbett macht: „Da sind die Frauen natürlich sehr sensibel. Nur eine einzige negative, ruppige und unüberlegte Bemerkung über die Beschaffenheit der Brustwarzen kann schon eine richtige Katastrophe auslösen. Die Mischung zwischen sanfter Herangehensweise und korrekter medizinischer Anleitung ist wichtig. Da erkennt man dann, wer fachlich wirklich gut ist.“
Das thematische Aufgabenfeld der Stillberaterin hat sich in den vergangenen Jahren vor allem aus einem gesellschaftlich bedingten Wandel heraus geändert: Immer mehr Frauen sind mit ihren Kindern alleine. „Großfamilien werden immer weniger, damit haben die Mütter auch immer weniger Unterstützung von der eigenen Verwandtschaft“, erklärt Kerstin Dörler. „Eine Mama darf am Anfang nicht alleine sein. Ein Vaterschaftsurlaub von zwei Wochen ist da kein Ersatz. Denn danach sind viele Jungmütter auf sich gestellt. In einer harten Zeit, in der sich viel für die Frauen ändert. Für sie und für das Baby kommen täglich neue Herausforderungen dazu. Jeder Tag ist anders, es gibt viele, viele Monate keine Routine mehr, an der man sich festhalten kann.“
Schwierige, unperfekte Babyzeit
Schlafmangel und Erschöpfung, Schmerzen beim Stillen sowie ständiges Trinken der Neugeborenen sind die häufigsten Probleme, mit denen die frischgebackenen Mamas in Kerstin Dörlers Praxis kommen. „Bei sehr jungen Müttern kommen finanzielle Unsicherheiten dazu, bei älteren sind es andere Probleme – hier muss ich oft eher bremsen, um wieder ein wenig Leichtigkeit und Unbeschwertheit in den oft stressvolleren Umgang mit dem (Wunsch-)Baby hineinzubringen. Junge Mamas machen sich einfach ein bisschen weniger Sorgen.“
Die Stillberaterin ist kein Fan von „Dr. Google“ und den Amateurforen im Internet, die die Unsicherheit noch zusätzlich schüren „- genauso wie eine zu intensive Lektüre von zu vielen Sachbüchern“, fügt sie hinzu. „Oft ist es dann auch so, dass die Frauen in unserem Land nach außen hin eine perfekte Babyzeit vorgaukeln: das Kind gedeiht offensichtlich bestens, der Haushalt funktioniert scheinbar ganz wunderbar, auch der Mann ist glücklich mit der neuen Situation, alles einfach super. Das kann auf andere sehr frustrierend wirken. Aber durch die vielen Gespräche, die ich in den vergangenen Jahren geführt habe, kann ich alle beruhigen: Es ist nicht alles so perfekt, wie es scheint! Oft ist die perfekte Freundin von nebenan ebenfalls bei mir in Beratung, ich darf es aufgrund der Schweigepflicht nur nicht sagen…“, schmunzelt sie.
Kostenloses Stillcafe in Bregenz
Anfang des Jahres haben die Bregenzer Oberärztin Heidemarie Körber-Lemp, Chefarzt Primar Dr. Michael Rohde (ja, auch er hat die Ausbildung zum Stillberater absolviert!) und Kerstin Dörler ein Stillcafe in Bregenz eröffnet. Schwangere, Stillende und nicht-stillende Mamas können dort ohne Anmeldung bei einem Bio-Frühstück kostenlose Beratung in Anspruch nehmen. Finanziert wird das Frühstück über Sponsoren, „Brot beispielsweise bekommen wir von der Bäckerei Gunz, Milch vom Bauern Bruno aus Alberschwende, die Räumlichkeiten werden vom Landeskrankenhaus Bregenz zur Verfügung gestellt“. Bisher haben nach Angaben von Kerstin Dörler bereits über 650 Mütter das Angebot genutzt. Dass die Nachfrage also gegeben ist, liege auch daran, dass die Frauen immer früher vom Spital nach Hause gehen, erklärt Kerstin Dörler: „Da fehlt es dann aber oft an der Nachbetreuung. Hebammen sind knapp bei uns im Land – denn leider ist ihre wichtige Arbeit der Hausbetreuung immer noch sehr schlecht bezahlt. Das ist schade“, bedauert die Stillberaterin, „denn eine gute Betreuung in der ersten Zeit erspart viele Folgeprobleme. In meiner Praxis bekomme ich von den Ärzten viele Kinder mit Gedeih- und Schreiproblematik zugewiesen. Ich bin dann meist weniger Stillberaterin und mehr eine Motivationsgeberin!“.
Das Stillcafe ist eingebettet in ein großes Netzwerk, das beispielsweise mit „Connexia“, „Netzwerk Familie“ und „schwanger.li“ bis über die Grenzen Vorarlbergs hinaus geht. „Wir empfinden uns also nicht als Konkurrenten, sondern nutzen das jeweilige Schwerpunktwissen für eine breit aufgestellte Zusammenarbeit“, erklärt die Stillcafe-Initiatorin. Unter den Besucherinnen des Stillcafes hätten sich bereits richtige Freundschaften entwickelt, zieht Kerstin Dörler Bilanz: „Die Frauen gehen gemeinsam auf den Spielplatz, zum Babyschwimmen. Sie tauschen sich aus, was einfach gerade zu Beginn immens wichtig ist. Die Frauen merken, dass sie mit ihren Problemen nicht alleine dastehen, dass andere Ähnliches durchmachen. Diese Unterstützung bestärkt und motiviert und gibt den Mamas innere Ruhe und Kraft – und das wirkt sich auf die Kinder aus. Denn die brauchen in erster Linie Ruhe, Geborgenheit und Sicherheit. Stress, ständiges Zweifeln, stundenlange Aufenthalte in Einkaufszentren, Reizüberflutungen und dauerndes Unterwegssein mit den Kleinsten haben Auswirkungen. Viele Schreibabys beispielsweise haben gar keine körperlichen Probleme, sondern reagieren nur auf ein Zuviel an Reizen von außen.“
Schwere Schicksale, die sich auf das eigene Leben auswirken
Neben all den schönen und glücklichen Momenten muss eine Krankenschwester in ihrem Beruf natürlich auch traurige Ereignisse verkraften. Kerstin Dörler ist immer wieder auch ganz nah am Schicksal von schwer kranken und mitunter auch sterbenden Kindern. „Ich versuche mich in solchen Situationen immer besonders auch auf die Mutter zu konzentrieren. Ich überlege mir, wie ich sie am besten unterstützen kann. Ich weiß, ich kann ihr dadurch helfen. Und dadurch geht es mir auch besser im Umgang mit traurigen Situationen. Wenn ich ein sterbendes Kind und dessen Eltern begleite, bin ich außerdem nicht alleine. In den Spitälern arbeitet sehr gut und psychologisch sensibel geschultes Personal. Generell arbeiten wir aber auf der Neonatologie in Dornbirn und Bregenz mit Neugeborenen, für die es im Großen und Ganzen rasch aufwärts geht. Die ganz kleinen Frühchen werden eher in LKH Feldkirch betreut. Ich bin immer traurig, wenn ein Baby oder ein Kind stirbt. Das ist immer traurig. Das ist immer schlimm. Das ist menschlich. Die Fähigkeit, diese Menschlichkeit zuzulassen und zu spüren, ist auch eine wichtige Voraussetzung dafür, um überhaupt mit Kindern zu arbeiten“, ist die Krankenschwester überzeugt.
Die für Kerstin Dörler persönlich größte Herausforderung ist die Arbeit mit Müttern, deren Kinder sehr lange auf der Neonatologie bleiben müssen oder unheilbar krank sind. Denn wenn diese Mütter dann noch eine Familie mit weiteren Kindern zu betreuen haben, ist deren – oft jahrelange – Leistung gewaltig. „Das ist etwas, wovon eher wir als Begleiterinnen etwas lernen können! Das holt mich dann immer wieder ganz schnell zurück auf den Boden.“ Derartige Schicksale haben daher auch immer Auswirkungen auf ihr eigenes Leben und ihre Familie: „Ich schätze dann immer noch ein Stück mehr, wie wichtig meine Lieben für mich sind – bei allem Stress und den kleinen alltäglichen Herausforderungen. Da werden einfach grundlegende Dinge – wie etwa Gesundheit – zum größten Glück!“
Einziges „Stilltelefon“ Österreichs
Seit drei Jahren geht Kerstin Dörler ohne ihr Handy in den Urlaub. Sie hat gemerkt, dass sie es braucht, sich auch einmal komplett ausklinken zu können. Normalerweise ist sie nämlich von Montag bis Sonntag erreichbar. Zusätzlich ist sie seit zehn Jahren Mitarbeiterin von – wie sie sagt – Österreichs erstem und bislang einzigem „Stilltelefon“. „Da ich meine Praxis im selben Haus habe, in dem meine Familie und ich wohnen, kann ich auch dringende Termine schon mal kurzfristig am Abend und am Wochenende wahrnehmen. Das bedeutet zwar eine fließende Grenze zwischen Beruf und Privatleben, aber ich bin dadurch auch sehr flexibel. Ich kann in der arbeitsfreien Zeit ganz bei meiner Familie sein, ohne dass lange Wege mir unnötig Zeit rauben. Ich arbeite sehr viel und sehr gerne. Als Selbstständige muss man allerdings gut auf mich aufpassen!“ Zum Ausgleich geht sie viel laufen und wandern, raus in die Natur. Kerstin Dörler hat sich offensichtlich ihre Kräfte gut eingeteilt, denn sie bleibt sehr engagiert und hält – wie sie sagt – schon wieder Ausschau nach einem neuen Projekt, mit dem sie Müttern helfen kann.
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