Eine Bankzentrale war das erste Projekt, an dem Brigitte Weber und ihr Partner bis zur Gründung ihres eigenen Büros ein paar Monate mitgearbeitet haben: „Mein Glück war, dass dort alle englisch gesprochen haben, ich habe also das erste Jahr noch wie unter einer Glocke gelebt, die noch nichts mit der Türkei zu tun hatte“, erzählt die Architektin. Erst als sie dann für eine Freundin ein 20-Quadratmeter-Kleidergeschäft geplant hat, begann ihre eigentliche Arbeit: „Da die Baustelle mehr und mehr auf meinen Schultern lastete, weil mein Freund nebenher an anderen Projekten arbeitete, war ich gezwungen, mich irgendwie mit den türkischen Mitarbeitern zu verständigen. Ich erinnere mich noch gut an den 1, 50 Meter großen Baumeister von der Schwarzmeerküste, einer mit klassischem Schnurrbart. Mit Händen und Füßen haben wir die Baustelle hingebogen. Reißt das wieder ab, war vermutlich der erste Satz, den ich auf Türkisch sagen konnte“, lacht sie.
Sie persönlich habe nie erlebt, dass sie als Frau benachteiligt worden wäre. Auch nicht auf der Baustelle, einer Männerdomäne: „Ich habe mir aber von Anfang an nie einreden lassen, dass ich als Frau weniger kann und weiß. Ich habe das gar nicht als Option betrachtet. Und dann hat man auch schon einen gewissen Schritt gesetzt, glaube ich. Bildung spielt eine große Rolle, das hat mich als Frau quasi zum Neutrum gemacht. Wenn ich auf der Baustelle mit Arbeitern zusammen an einem Projekt arbeite, dann bin ich die Gebildete, die die Vorgaben macht, diejenige, die sich auskennt. Und das akzeptieren die Männer. In diesem Fall akzeptieren sie eine Frau als Leiterin, als jemand, die Entscheidungen treffen kann, weil sie es gelernt hat.“ Objektiv gesprochen und abgesehen von ihrer Arbeit und ihrem Umfeld, erkennt Brigitte Weber ganz deutlich die gespaltene Gesellschaft in der Türkei: „Die Frau vom Dorf, auf dem Land hat nur innerfamiliär die Hosen an. In der Gesellschaft, in der Öffentlichkeit ist sie aber die Unterdrückte.“ In der Türkei seien insgesamt sehr viele Frauen berufstätig – und zwar nicht nur jene aus den oberen Schichten: „Die Frauen müssen deshalb nicht Kinder und Familien aufgeben. Das würden sie niemals wollen. Hinter den Frauen steht immer eine Familie, die sie unterstützt. Familienverbundenheit ist hier Druck und Chance für die Frauen zugleich.“
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